Prolog
„Eine Blume!“
Sie klatschte aufgeregt in die Hände und rannte schnurstracks auf das kleine Veilchen, das irgendwie nicht ganz zum Rest der sonst von Hahnenfuß überwachsenen Wiese passen wollte.
Sie, das heißt ein fünfjähriges kleines Mädchen mit lockigen braunen Haaren und Latzhosen, Jacke, Strumpfhosen und Hut.
Niedlich eigentlich.
Eigentlich. Wenn sie nicht so begeisterungsfähig für jedes einzelne Stöckchen am Wegrand wäre, wenn man gerade möglichst zügig mit ihr irgendwo hin will.
„Leia “, stöhnte er auf, „wir können nicht jede Wurzel und jeden Stein bewundern. Wir brauchen immernoch Pilze. Und die wachsen nicht gerade auf Wiesen, sondern im Wald. Komm jetzt endlich, ich habe keine Lust darauf, abends wegen meinem Hunger nicht einschlafen zu können!“
„Gleich, Yuri ...“
Er, ihr Bruder. Gerade mal zehn. Mittellange, ebenfalls braune Haare. Ärmelloses Shirt und knielange Shorts am Körper.
Yuri setzte sich auf einen Baumstumpf am Wegrand und beobachtete gelangweilt die vorbeiziehenden, dunklen Wolken. Es nieselte, aber das machte ihm nichts aus.
Es war ja noch einigermaßen warm seiner Meinung nach.
Der tagelange Regen, die niedrigen Temperaturen und die Tatsache, dass jeder andere Dorfbewohner einen Mantel trug, scheinte ihn nicht zu interessieren.
Als Leia nach geschlagenen drei Minuten immernoch nicht zurückkommen wollte, stapfte er entnervt die Wiese zu ihr hinauf.
„Leia! Komm jetzt endlich. Gleich hole -“. Weiter kam er nicht, da sich auf halbem Weg, gerade dort, wo er stand, spontan ein Loch auftat.
Denn durch ebendieses Loch fiel er runter. Er schrie erschrocken auf.
Leia war viel zu beschäftigt mit der Blume, als dass sie so eine Sache bemerken könnte, also gab sie sich weiterhin ihrem Blümchen hin.
Mit einem dumpfen Aufprall landete Yuri auf einem hartem Untergrund.
Starr vor Schreck blieb er genau dort liegen, wo er war und schaute sich mit weit aufgerissenen Augen um, während er noch immer viel zu schnell atmete.
Dort, wo das Licht vom Loch noch einigermaßen den Raum erhellte sah Yuri nun … einen Raum. Der Lichtkegel erleuchtete allerdings nur den unmöbellierten Teil.
Eine Art Zimmer, aber mit ganz kahlen Steinwänden. Und grau waren sie auch noch, ebenso wie der geflieste Boden. Glatter Boden. Insgesamt wirkte es äußerst kalt, wenn nicht sogar tot ... Wo war er?
Das Zimmer war unmittelbar direkt unter der Oberfläche der Wiese. Dort, wo er eingebrochen war, war die ohnehin schon sehr baufällige, rissige Decke eingestürzt.
Yuri rappelte sich hustend und fluchend auf, während er mit der einen Hand den Staub und die kleinen abgebrochenen Steinchen von der Decke aus seiner Wuschelfrisur klopfte.
Er hörte seinen eigenen ruckartigen Atem und sein Herz pochte nach wie vor aufgeregt.
Langsam, ganz langsam wagte er sich Schritt für Schritt tiefer in das Zimmer.
Seine Angst war zwar nicht gerade übersehbar, aber seine Neugier zog ihn weiter hinein.
Dort angekommen, wo absolute Schwärze herrschte, blieb er kurz stehen, damit sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten.
Regale.
Vollgestopfte Regale.
Ein vollgestellter Tisch mit irgendwelchen … Zahnrädern? Scheibchen? Was waren das für Dinger? Yuri wusste es nicht und wollte schnell an den Tisch gehen und sich das aus der Nähe anschauen. Er hob den Fuß an, stolperte über irgendeinen harten Gegenstand und landete direkt mit dem Gesicht auf dem Boden, die Hände in die Luft gestreckt.
„ARGH! Nicht schonwieder!“
Er fasste sich an die Nase. Natürlich war es unterhalb seiner Nasenlöcher nass und warm. Blut. Super.
Er stöhnte auf.
Gerade, als er die Hände auf den Boden stützte, bemerkte er einen Metallschuh, direkt vor ihm.
Angstschweiß rann ihm den Nacken runter, während er langsam den Kopf hob, um zu gucken, wem der Schuh wohl gehörte. Zitternd sah er an einem Bein, mit Protektoren bis zu den Knien, an seltsam schimmernden Oberschenkeln und einem panzerartigem Oberkörper hoch. Mit stark aussehenden,protektorengeschützten Armen.
AAAAAH!
Es war Yuri, der geschrien hatte und innerhalb einer Sekunde in eine Ecke des Raums gesprungen war und sich ein Rohr als Waffe vors Gesicht hielt.
Bitte tu mir nichts, bitte tu mir nichts, bitte tu mir nichts!
Eine weitere Schweißperle rann ihm den Nacken runter, während er in Erwartung eines Angriffs die Stellung hielt.
Eine Minute verging.
Eine zweite.
Eine dritte.
Yuri stutzte und wagte einen Blick auf seinen Gegner, der sich meinen Millimeter gerührt hatte und stellte fest, dass dieser nicht einmal … lebendig zu sein schien.
Langsam und unsicher tapste er zu dem Ding.
Es hatte Gliedmaßen wie ein Mensch, war aber eindeutig unproportional.
Die Arme waren eindeutig zu lang und die Beine zu kurz. Der Kopf mit einer vogelartigen Maske saß auf einem zu langem, stielartigem Hals. Allgemein hatte dieser Maschinenmann etwas … von einem Vogel. Ein Menschenmaschinenvogel.
Wie viele neugierige Kinder kam Yuri nicht umhin, seinen orangenen Metallkörper mit einem Finger anzustupsen.
Eine Maschine.
Ganz bestimmt eine Maschine …
Yuri war fasziniert und schaute sich den Mann mit offenem, staunendem Mund an und vergaß dabei fast zu atmen.
Minutenlang betrachtete er jedes kleinste Detail an ihm...
„YUUUURIIII!“
Er wirbelte herum und bemerkte erst jetzt, dass seine kleine Schwester wohl am Loch kauerte und schluchtzte, vielleicht schon länger.
Sofort lief er in den belichteten Teil und stellte sich unter das Loch.
„Leia, ich bin hier! Alles ist gut! Mir ist nichts passiert! Tut mir Leid, dass ich nicht sofort reagiert habe, da drinnen dachte ich, dass mich jemand angreift, aber dem war nicht so – Jedenfalls – ich … bin hier... Du brauchst keine Angst mehr um mich zu haben -“
Leia rümpfte die Nase und wischte sich mit dem Ärmel drüber und hickste.
„Wurde aber auch Zeit, dass du kommst, ich dachte schon, du hast mich ganz allein gelassen. Warum bist du einfach weggegangen? Ich hab ganz furchtbare Angst gehabt, dass mich ein Kriegermann holen kommt, wenn du nicht auf mich aufpasst und spielen gehst. Was bist du nur für ein Bruder!“
Yuri seufzte resigniert.
Sie war so eine Egoistin ...
Ohne ein weiteres Wort kletterte er raus und gab ihr die Hand.
„Komm. Wir müssen in den Wald.“
„Ich will aber nicht! Im Wald ist es ganz feucht und nass. Ich finde es ekelig da. Ich will da nicht hin!“, quengelte sie.
Sie ist noch klein, hörte er seinen Vater im Geiste gutmütig zuflüstern, Wenn die Zeit reif ist, wird sie schon zur Besinnung kommen.
„Na das will ich mal hoffen“, murmelte er, dann wanderte er los, mit Leia an der Hand.